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Essay im WOM JOURNAL 01/2003

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Der letzte Konsumikaner

Nein, ich wollte gar keine kandierten Bibernäschen naschen. Keine elektrisch um sich selbst drehende Kopie des Kölner Doms erwerben, an deren Seite ein kleiner Godzilla hoch klettert, Kamelle wirft und „Alaaf" ruft. Noch nicht einmal eine Software installieren, ohne dass dabei gleich meine ganzen alten Daten unwiederbringlich gelöscht werden. Nein, ich habe gar keinen so ausgefallenen Geschmack. Vielleicht will ich nicht immer unbedingt das haben, was die anderen Konsumenten sich mit Wonne in die Warenkörbe werfen, aber dass ich mit meinen bescheidenen Wünschen immer wieder derart schmerzhaft an den schnöden, einsamen Entscheidungen irgendwelcher grauer Männer an den Warenstromweichen abpralle, ist eine fast schon traurige Geschichte. Ich bin nämlich der letzte Konsumikaner. Zumindest fühle ich mich so, wenn ich zum Beispiel mal wieder in einer beliebigen deutschen Großstadt das lokal marktführende Fachgeschäft für Heimtextilien betrete, meine Dutzend Mal gestellte Frage abspule und zum x-ten Mal die stereotype Antwort der Verkäuferin hören muss: „Das gibt es schon lange nicht mehr." „Das", das ist nicht etwa ein Badehandtuch in Bananenform mit eingewebten hebräischen Kamelrennenwitzen, sondern stinknormale Baumwollbettwäsche. Ungemustert, ohne Streifenstruktur, nein, Fräulein, kein Satin, nein danke, kein Seersucker, ich suche...ach ja, nur in weiß? Nicht in schwarz? Wollen Sie nicht mal im Katalog nach...? Ja, ja, ich weiß, verlangt schon seit Jahren keiner mehr, und diese Kunden, die immer Kerzen im Schlafzimmer anzünden, ja nun, diese „speziellen Kunden" würden gemeinhin schwarze Seide bevorzugen. Nächster Wunsch nächstes Problem: Dunkelgraue, matte, lange Tafelkerzen für meinen Siebenarmer unter dem wunderbaren Gemälde von Stefan Bressel an der Wand hinter meinem Lieblingssessel. Dunkelgrau, weil das so schön zu dem Bild passt, dass man glaubt, es wäre bunt wie ein Regenbogen. Gibts aber nicht. Tafelsilber bis Tussengold, Rotgrünblaupastell, alles da, aber kein Dunkelgrau. Dass es noch zum Happy End kam, lag nur an dem lieben Kerzenmann auf meinem Wochenmarkt. Ich kaufte ihm alle Dunkelgrauen ab, die er hatte und wollte ihm meine Nummer geben, damit er mich anruft, wenn Nachschub kommt. Brauchte er nicht. Der Hersteller hat die Farbe aus dem Programm genommen. Zu wenig Nachfrage. So geht das schon seit Jahren. Als ich noch mit kräftigen Zügen mein Leben verkürzen wollte, nahm man alle 14 Monate meine jeweilige Zigarettensorte vom Markt. Jedes Mal wieder das Gleiche: Eine Einkaufstüte voll neuer Marken probieren, notdürftig an eine neue Sorte gewöhnen, bis... Irgendwann habe ich das Rauchen aufgegeben. Gleiches Spiel bei After-Shave-Düften („...aber haben Sie schon mal den Nachfolger probiert...?") Lieblingskaugummis, Flaschentomaten, Stereoverstärkern („Wir haben nur noch Dolbyfünfzueinsmegasoundscanblabla"). Oder kennt einer ein neues Handy in Männerhandgröße? Was das mit Musik zu tun hat? Natürlich geht es mir im Plattenladen nicht anders: Kaum habe ich eine CD zu Hause so totgeliebt, dass ich sie unbedingt einem Freund schenken muss, ist sie ausgelistet. Und damit meine ich nicht, dass der freundliche Verkäufer sie mir noch bestellen kann, ich dafür aber 19,99 Euro hinlegen und zwei Wochen auf die Lieferung warten müsste. Nein, ich könnte auch 199 Euro auf den Tisch knallen und bis Ostern warten - und bekäme das Teil dennoch nicht. Ich will nicht verbittern, aber warum kann diese Industrie nicht wenigstens in irgendeinem Lager ihre Waren mal ein paar Jahre lang aufheben? Wird ja nicht ranzig, so eine CD. Für einen 69er Mercedes gibt es noch immer Ersatzteilwasserpumpen. Was soll ich machen? Die CD für meinen Freund brennen, wenn man sie schon nicht mehr kaufen kann? Sehe ich aus wie ein Bastelspack? Aus dem Alter bin ich erstens raus und zweitens habe ich ein abschreckendes Beispiel in der Familie: Da gibt es eine Frau, die bastelt aus abgelatschten Gummi- Adiletten dekorative Weihnachtsengel als Fensterschmuck. Gut, sie ist zugeheiratet. Aber ich bleibe dabei: Basteln ist was für gleichstellungsbeauftragte Seidenmalkurslangweiler. Oh Du großer, weißer Mann vom Stamme der A&Rpatschen, lass Dir zum Ende gesagt sein vom letzten Konsumikaner Deiner Jagdgründe: Erst wenn ihr alle lebende Musik in diesem Land vernichtet habt, werdet ihr merken, dass dann keiner mehr sein trocken Brot'sis essen mag.

© copyright 2002 Peter Wagner, alle Rechte vorbehalten