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Der
letzte Konsumikaner
Nein, ich wollte
gar keine kandierten Bibernäschen naschen.
Keine elektrisch um sich selbst drehende Kopie des
Kölner Doms erwerben, an deren Seite ein
kleiner Godzilla hoch klettert, Kamelle wirft und
Alaaf" ruft. Noch nicht einmal eine Software
installieren, ohne dass dabei gleich meine ganzen
alten Daten unwiederbringlich gelöscht werden.
Nein, ich habe gar keinen so ausgefallenen
Geschmack. Vielleicht will ich nicht immer
unbedingt das haben, was die anderen Konsumenten
sich mit Wonne in die Warenkörbe werfen, aber
dass ich mit meinen bescheidenen Wünschen
immer wieder derart schmerzhaft an den
schnöden, einsamen Entscheidungen
irgendwelcher grauer Männer an den
Warenstromweichen abpralle, ist eine fast schon
traurige Geschichte. Ich bin nämlich der
letzte Konsumikaner. Zumindest fühle ich mich
so, wenn ich zum Beispiel mal wieder in einer
beliebigen deutschen Großstadt das lokal
marktführende Fachgeschäft für
Heimtextilien betrete, meine Dutzend Mal gestellte
Frage abspule und zum x-ten Mal die stereotype
Antwort der Verkäuferin hören muss:
Das gibt es schon lange nicht mehr."
Das", das ist nicht etwa ein Badehandtuch in
Bananenform mit eingewebten hebräischen
Kamelrennenwitzen, sondern stinknormale
Baumwollbettwäsche. Ungemustert, ohne
Streifenstruktur, nein, Fräulein, kein Satin,
nein danke, kein Seersucker, ich suche...ach ja,
nur in weiß? Nicht in schwarz? Wollen Sie
nicht mal im Katalog nach...? Ja, ja, ich
weiß, verlangt schon seit Jahren keiner mehr,
und diese Kunden, die immer Kerzen im Schlafzimmer
anzünden, ja nun, diese speziellen
Kunden" würden gemeinhin schwarze Seide
bevorzugen. Nächster Wunsch nächstes
Problem: Dunkelgraue, matte, lange Tafelkerzen
für meinen Siebenarmer unter dem wunderbaren
Gemälde von Stefan Bressel an der Wand hinter
meinem Lieblingssessel. Dunkelgrau, weil das so
schön zu dem Bild passt, dass man glaubt, es
wäre bunt wie ein Regenbogen. Gibts aber
nicht. Tafelsilber bis Tussengold,
Rotgrünblaupastell, alles da, aber kein
Dunkelgrau. Dass es noch zum Happy End kam, lag nur
an dem lieben Kerzenmann auf meinem Wochenmarkt.
Ich kaufte ihm alle Dunkelgrauen ab, die er hatte
und wollte ihm meine Nummer geben, damit er mich
anruft, wenn Nachschub kommt. Brauchte er nicht.
Der Hersteller hat die Farbe aus dem Programm
genommen. Zu wenig Nachfrage. So geht das schon
seit Jahren. Als ich noch mit kräftigen
Zügen mein Leben verkürzen wollte, nahm
man alle 14 Monate meine jeweilige Zigarettensorte
vom Markt. Jedes Mal wieder das Gleiche: Eine
Einkaufstüte voll neuer Marken probieren,
notdürftig an eine neue Sorte gewöhnen,
bis... Irgendwann habe ich das Rauchen aufgegeben.
Gleiches Spiel bei After-Shave-Düften
(...aber haben Sie schon mal den Nachfolger
probiert...?") Lieblingskaugummis, Flaschentomaten,
Stereoverstärkern (Wir haben nur noch
Dolbyfünfzueinsmegasoundscanblabla"). Oder
kennt einer ein neues Handy in
Männerhandgröße? Was das mit Musik
zu tun hat? Natürlich geht es mir im
Plattenladen nicht anders: Kaum habe ich eine CD zu
Hause so totgeliebt, dass ich sie unbedingt einem
Freund schenken muss, ist sie ausgelistet. Und
damit meine ich nicht, dass der freundliche
Verkäufer sie mir noch bestellen kann, ich
dafür aber 19,99 Euro hinlegen und zwei Wochen
auf die Lieferung warten müsste. Nein, ich
könnte auch 199 Euro auf den Tisch knallen und
bis Ostern warten - und bekäme das Teil
dennoch nicht. Ich will nicht verbittern, aber
warum kann diese Industrie nicht wenigstens in
irgendeinem Lager ihre Waren mal ein paar Jahre
lang aufheben? Wird ja nicht ranzig, so eine CD.
Für einen 69er Mercedes gibt es noch immer
Ersatzteilwasserpumpen. Was soll ich machen? Die CD
für meinen Freund brennen, wenn man sie schon
nicht mehr kaufen kann? Sehe ich aus wie ein
Bastelspack? Aus dem Alter bin ich erstens raus und
zweitens habe ich ein abschreckendes Beispiel in
der Familie: Da gibt es eine Frau, die bastelt aus
abgelatschten Gummi- Adiletten dekorative
Weihnachtsengel als Fensterschmuck. Gut, sie ist
zugeheiratet. Aber ich bleibe dabei: Basteln ist
was für gleichstellungsbeauftragte
Seidenmalkurslangweiler. Oh Du großer,
weißer Mann vom Stamme der A&Rpatschen,
lass Dir zum Ende gesagt sein vom letzten
Konsumikaner Deiner Jagdgründe: Erst wenn ihr
alle lebende Musik in diesem Land vernichtet habt,
werdet ihr merken, dass dann keiner mehr sein
trocken Brot'sis essen mag.
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2002 Peter Wagner, alle Rechte
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