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Schall und Rauch

Qualmen, Meilen sammeln und ab ins kostenlose Konzert - Marlboros neue Masche im Kultursponsoring (Feature 11/99)

Wenn in den USA - inzwischen nicht mehr unbedingt ein Eldorado für Nikotinsüchtige - zurzeit etliche Konzertsäle vom kettenrauchenden Publikum zugequalmt werden, ist das keine Demonstration von klimmstengelabhängigen Pop- und Rock-Fans gegen die immer stärker werdenden Restriktionen der US-Gesundheitsbehörde. Es ist schlicht ein neues Kapitel der unendlichen Geschichte "Kunst & Kommerz", neudeutsch "Kultursponsoring" genannt. Im Moment laufen in Dutzenden Städten der Vereinigten Staaten insgesamt 117 Konzertveranstaltungen mit angesagten Bands wie Sugar Ray, Los Lobos, G. Love & Special Sauce, Smash Mouth, Cheap Trick, Fastball, Bob Mould oder Afghan Whigs, deren Publikum eines gemeinsam hat: Alle Konzertbesucher sind eingeschworene Raucher der Marke "Marlboro". Und sie mußten so manche Kippe ausdrücken, um in den Genuß dieser exclusiven Auftritte zu kommen.

 

Bei Philip Morris, der Herstellerfirma, heißt das Konzept "Miles For Admission". Im Grunde ist es aber nichts anderes als ein "Frequent Smoker"-Programm: Auf jeder in den USA verkauften "Marlboro"Schachtel befindet sich derzeit eine Wertmarke für fünf "Meilen". Wer sich 200 "Meilen" zusammeninhaliert hat, bekommt kostenlos ein Ticket für eines der "Miles For Admission"-Konzerte. Umgerechnet muss man sich also für einen Konzertbesuch 800 Klimmstengel anzünden - ein hartgesottener Kettenraucher schafft das locker in 20 Tagen.

 

Nachdem in den letzten Jahren nacheinander gleich zwei "Marlboro-Männer" - Hauptwerbeträger in den Kino-Spots - ausgerechnet an Lungenkrebs starben, und auch die Tabakwerbemöglichkeiten generell drastisch eingeschränkt wurden, sucht Philip Morris verstärkt nach alternativen Marketingideen. Das "Miles For Admission"-Programm, so Konzernsprecherin Kati Otto, sei eine "neue Qualität der Kulturförderung im Pop-Bereich, und für uns eine intelligente Möglichkeit, mit Freunden des Tabakgenusses zu kommunizieren, ohne gleich aufdringlich zu wirken." Die auftretenden Künstler sind zwar dazu angehalten "nach den Konzerten Autogramme für die Fans zu geben", erklärt Otto weiter, "sie müssen sich aber keine Marlboro auf der Bühne anzünden."

 

Den teilnehmenden Bands - allesamt etablierte Acts - geht es natürlich weniger um "Kulturförderung": "Es ist sehr lukrativ", verrät Bob Lawton, Agent der Gruppe G. Love & Special Sauce. "Warum sollten sich Künstler auch für so etwas hergeben - wenn nicht für ein Vielfaches ihrer normalen Gage? Außerdem sind diese Konzerte total anonym." Damit meint er: Die "Miles For Admission"-Events werden nicht beworben, das Publikum erfährt erst am Abend in der Halle, wer auftritt.

 

Auch und gerade wegen der lukrativen Nähe zum schnöden Mammon (die Gruppen erhalten bis zu vierfach höhere Gagen als sonst und bekommen zusätzlich sämtliche Spesen ersetzt), will natürlich keiner der "Miles For Admission"-Künstler einen Kommentar abgeben. "Ich möchte nicht darüber sprechen", wiegelt auch Smash Mouth-Sänger Steve Harwell Anfragen ab. "Ich habe keine Lust, deswegen Schwierigkeiten zu bekommen."

 

"Deswegen" hat in den Pop-Kreisen der USA längst einen Namen: "Corporate Gigs", Konzerte also, die namhafte Gruppen vor dem illustren Kreis von Mitarbeitern großer Unternehmen im Rahmen von Firmenfeiern und Incentive-Events spielen. "Das ist ein ultraheißes Geschäft", lacht sich Christopher Dalston ins Fäustchen. Er vermittelt für seine "Creative Artists Agency" Künstler wie Bob Dylan, Jewel, Stevie Winwood oder Santana an interessierte Industriefirmen - eine von immer mehr Musikern gerne genutzte Möglichkeit, jenseits von gewaltigen Tournee-Apparaten die schnelle Live-Mark zu machen.

 

Der Rubel rollt allenthalben, zumindest in den USA: Die Rolling Stones rockten auf Hawaii in einem Festzelt vor 3.500 geladenen "Pepsi"-Mitarbeitern, die Konkurrenz "Coca Cola" läßt die B 52's als Partyband zum Tanze aufspielen, und die Angestellten von "Applied Materials" dürfen sogar das erleben, was dem Rest der Musik-Menschheit bislang strikt verwehrt war: Vater und Sohn Dylan gemeinsam auf einem Festival. In grauen Rock'n'Roll-Vorzeiten hätten solche Engagements zur sofortigen Steinigung der Musiker durch die Fans geführt. Heute mag sich darüber niemand mehr so recht aufregen. Im Zeitalter des gesunden Pekunär-Pragmatismus kann ein Mick Jagger, von einem "Rolling Stone"-Reporter auf den "Pepsi"-Gig angesprochen, ungestraft grinsen: "Wir machen das wegen des Geldes, würde ich sagen."

 

 

Peter von Stahl

 

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