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Pop-Giganten wie
Griechenland, Montenegro oder Zypern verweisen
Deutschland beim 49. European Song Contest in
Istanbul auf den achten
Platz
Karpaten-Shakira
schlägt den Minimax
Von Peter
Wagner, Hamburg
Welch Balsam für das
gebeutelte Land im Osten! Ruhm und Ehre der
Schwarzmeerflotte - verrosten im Brackhafen von
Sewastopol. Die Hälfte der einst
unbezwingbaren Klitschko-Brüder - Naseblutend
auf dem Ringboden. Und auch sonst liest man von der
Ukraine höchstens dann mal was in der Zeitung,
wenn Landsmann Borys Barktiv für knapp
fünf Jahre in den deutschen Knast muss, weil
er lebensfrohen Promis wie Michel Friedmann ein
paar junge Ukrainerinnen als Zugabe zum Koks-Haufen
ins Hotel geliefert hat. Und jetzt? Ja, jetzt
tanzte Ruslana Lyzhichko und ihre wilde Truppe
nicht nur den Eurovisionsbühnenglasboden (bei
den Proben zum Halbfinale Anfang letzter Woche) in
Stücke und Scherben -das halbnackte
Kosakengehüpfe erwies sich gar als
mehrheitsfähig im Europa, das beim Song
Contest" als vorweg genommener Endausbau der EU mit
36 Staaten beim Gastgeber Türkei aufgelaufen
war. Schon das Halbfinale ließ ahnen, dass
eine Nummer nach ganz oben durchmarschieren kann,
wenn sie nur clever geklaut ist (Wild Boys"
von Duran Duran war die Blaupause), dabei aber
statt Europop-Einheitsbrei noch genügend
Karpaten-Karma transportiert, die Akteure den
reicheren Eurovisionsgebührengeberländern
zeigen, dass man auch mit wenig was Hübsches
zaubern kann (Kostüme aus Lederresten) - und
vornedran eine gelenkige Tänzersängerin
turnt, die als erste Akteurin im Sendverlauf
(Startplatz 10!) beim Kleiderkauf unterhalb von
Konfektionsgröße 40-42 auswählen
kann. Sowas knallt die Konkurrenz locker weg.
Deutschlands Max Mutzke tat, was man als aufrechter
aber auf die hinteren Plätze verdrängter
Wettsänger im Oberschulalter tun muss: er rief
erst mal seine Eltern im Schwarzwälder
Krenkingen an und ließ sich trösten.
Eine halbe Stunde später gestand der junge
Recke per Videozuspielung den trotzdem munter
feiernden Hamburgern auf dem Spielbudenplatz (und
der lustig bedruckten Leberwurst auf der
Bühne, die Pop-Kenner als den
Ex-Bohlen-Partner Thomas Anders wiedererkannten),
dass er sich an den achten Platz erst
gewöhnen" müsse. Recht hat er.
Schließlich hatten ihn wochenlang alle
deutschen Medien im Einklang mit seinem
väterlichen Karrierekonstrukteur Stefan Raab
zum Supermax hochgejazzt, der nun von so
gigantischen Pop-Nationen wie Zypern,
Serbien/Montenegro oder Albanien auf sein
künstlerisches Normalmaß
zurückgestutzt wurde - der Minimax, der uns
immer wieder dieses eine Lied singt, das er kennt.
Dabei war Max einer der wenigen Akteure des Abends,
die ihre Stimme nicht in der Garderobe vergessen
hatten. Neben der Schwedin Lena Philipsson musste
sich Max gesanglich eigentlich nur Lisa Andreas
geschlagen geben, die auf Zypern offenbar ein
kleines Nagelstudio betreibt: zum Glück waren
ihre 5-Zentimeter-Krallen im eckigen French-Style
manikürt - das vermindert das
Verletzungsrisiko beim Nasebohren. Tief in sich
hinein gegangen schien auch Zeljko Joksimovic zu
sein. Gefunden hat der Vertreter
Serbiens/Montenegro dabei immerhin serbische
Hirtenflöten und Pinneberger Dorfdiscobeats.
Im Laufe seiner Darbietung irrten immer mehr junge
Serben mit Ethno-Instrumenten auf die Bühne,
doch und weit und breit waren keine KFOR-Truppen in
Sicht, die diese Nummer hätten retten
können. Mussten sie auch nicht, denn mit Hilfe
der reibungslos funktionierenden
Balkanpunkteschacherei holten sich
Bosien-Herzegowina, Albanien und Serbien
Top-Ten-Platzierungen, die mit der Qualität
der Songs und der Auftritte nicht hinlänglich
erklärbar sind. Ein heißer Favorit
dagegen war von Anfang an Griechenland. Aus dem
italienisch geprägten Korfu landete mit Sakis
Rouvas ein schnuckeliger
Schmalspur-Christopher-Lambert auf dem dritten
Platz, dessen Shake It" noch so manche
Weight-Watcher-Disco am ionischen Strand von
Kerkyra zutiefst erschüttern wird. Trost
für Max gab es dennoch reichlich: Ralf Siegels
maltesische Mini-Oper, vorgetragen von einem
vollfleischigen Nummerngirl mit
Butox-Breitmaulfroschgrinsen und einem kleinen
Mann, den sie kurz zuvor aus einem Haargeltopf
gerettet hatte, landete hinter Deutschland auf dem
zwölften Platz. Auch klassische
Eurovisionsgroßmächte wie
Großbritanniens James Fox (von dem bestens
gelaunt lästernden NDR-Moderator Peter Urban
zu Recht mit Gerhard Delling" verwechselt),
Niederlande, Norwegen und Irland fanden sich auf
verlorenen Plätzen wieder. Schön , dass
man sogar was lernen konnte an diesem mit über
fünf Stunden doch etwas überlangen
Fernsehabend. Zum Beispiel, dass sich auch junge
Türken (Ska-Truppe Athena, Platz 4) die
Achseln rasieren. Oder dass unsere
Indianerfaschingskostüme aus den 60er Jahren
über den Umweg von Altkleidercontainern der
Arbeiterwohlfahrt inzwischen wohlbehalten im Land
der Skipetaren gelandet sind (Anjeza Shahini,
für Albanien auf Platz 7). Oder dass die
Öffnung des Ostens" (Urban) zwar bei der
Damenbekleidung angekommen ist (Polen, Russland,
Rumänien), weniger jedoch bei der Sanges- und
Kompositionskunst der Teilnehmer. Oder diese Sache
mit der Türkei und Europa. Die Moderatoren
Meltem Cumbul und Korhan Abay schienen direkt aus
der türkischen Müppüts"-Show
entführt worden zu sein. Wir lernen: die
Türkei ist in Europa angekommen. Im Europa der
60er Jahre. Wunderschön bebildert von den
Tanzeinlagen während der Abstimmungspause: die
Zuckerpuppen von den Bauchtanztruppen.
Versöhnlich stimmte am Ende, dass auf einige
alte Seilschaften doch noch Verlass ist: Big Points
bekam Max von Österreich und der Schweiz (10
Punkte) und Portugal (8). Das viel beschworene
Germany Twelve Points" jedoch blieb
Wunschdenken. Volle Pulle kam nur aus Spanien. Von
den deutschen Sonnenrentnern mit spanischen
Handy-Verträgen.
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