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Pop rein, Schlager raus:
versinkt der European Song Contest" in
pseudo-internationaler
Hitparaden-Beliebigkeit?
Schlagerland
ist abgebrannt
Von Peter
Wagner, Hamburg
Showdown oder
Götterbelämmerung? Sie heißen
Jürgen Meier-Beer und Dieter-Thomas Heck,
gelten als Giganten der Kleinkultur und lassen
jetzt ihre scharfen Waffeln sprechen: Dieter
Thomas Heck sollte man dafür, dass er einen
modernen internationalen Musikwettbewerb mit
traditionellem deutschen Liedgut bestücken
will, als Vaterlandsverräter bezeichnen",
donnerte Meier-Beer, als NDR-Unterhaltungschef seit
Menschengedenk verantwortlich für das, was zu
Udo Jürgens Zeiten noch Grand Prix d'
Eurovision" hieß. Das ist lange her.
Inzwischen nennt sich der Eurobardenwettstreit
Eurovision Song Contest", und seine
Kämpen werden längst nicht mehr durch
erlesene Jurys bestimmt, sondern vom Volke selbst
gewählt.
Solch geartete
Basisdemokratie kennt Heck zwar aus seinen seligen
Zeiten als Schnellsprechmoderator der ZDF
Hitparade". Doch die eigentlichen Melodien
für Millionen" (aktuelle Heck-Sendung) werden
längst nicht mehr von Nicole, Roland Kaiser
oder Katja Ebstein gesungen, sondern von Sabrina
Setlur, Scooter, Laith Al-Deen, Overground,
Westbam, Mia oder Wonderwall &endash; vorwiegend
also Künstler, die sich aktuell in den
Hitparaden bewährt haben. Und deshalb vom NDR
zusammen mit der Plattenindustrie und dem
Kölner Musiksender VIVA dazu auserkoren
wurden, bei der nationalen Vorentscheidung des
Eurovision Song Contest" am 19. März
2004 in der Arena Berlin-Treptow anzutreten. Zuvor
müssen sie sich noch in etlichen VIVA-
Euroclash"-Specials bewähren und
idealerweise in die Charts kommen. Nur dann
nämlich, meint Meier-Beer, könne die
vollmundig als "Germany 12 Points!" titulierte
Vorauswahl-Sendung ihrem neuen Anspruch gerecht
werden: Mit dem Begriff "Grand Prix
d'Eurovision" wird eine Tradition beschworen, die
in den 60er Jahren ihren Höhepunkt hatte, aber
längst überholt ist. Denn inzwischen ist
im Eurovision Song Contest nur noch internationale
Popmusik erfolgreich. Darauf haben sich viele
andere Länder längst eingestellt. Davon
dürfen wir uns nicht abhängen lassen."
Das neue Auswahlverfahren
zeigte beim ewigen Eurovisions-Goldkettchen Ralph
Siegel (2002 mit Corinna May nur Platz 21, 2003 mit
Lou auf Platz 12) sofort Wirkung: Als ich
hörte, dass man sich nur über Viva
qualifizieren kann, habe ich für mich keine
Chancen gesehen", zog er sich schmollend
zurück. Ein Grand Prix ohne Siegel? Kann nicht
sein. Jetzt startet er mit dem Song "It's a
Wonderful Life", den er für das
Mädchenduo Ali & Lis geschrieben hat, in
die Vorentscheidung. Für Malta.
So etwas kann man nicht
machen", quengelte denn auch Dieter Thomas Heck im
Boulevardblatt "Bunte". Der
VIVA-Bewährungstest verhindere, dass
Schlager zum Einsatz kommen." Heck erhielt via
Bild" prompt Rückendeckung von der alten
Garde: Die Anschuldigungen sind extrem
diskriminierend" (Nicole, vor 21 Jahren Grand
Prix"-Gewinnerin) und Ich finde es gut, dass
Dieter Thomas Heck für das traditionelle
deutsche Liedgut kämpft" (Uwe Hübner,
Hitparade"-Tantiemenversorgungsbezieher).
Meier-Beer erwiderte das Feuer in einem
taz"-Interview: Hecks deutsche Leitkultur
würde ebenso in die Niederlage
führen, wie es Russland passiert wäre,
hätte es voriges Jahr stalinistische
Balalaikas statt T.A.T.U. entsandt".
Bevor nun auch noch von
flügellahmen deutschen Schlager-Stukas die
Rede ist, werfen wir lieber einen kurzen Blick in
die aktuellen Regularien des Eurovision Song
Contest", an die sich alle 14 Länder halten
müssen, die sich beim Finale am 15. Mai in
Istanbul präsentieren. Darin nämlich wird
nur noch empfohlen, dass die Lieder einen "national
flavour" haben sollen. Früher gab es
dafür konkrete Vorgaben (Landessprache,
traditionelle Instrumente, volkstümliche
Kostüme). Der Song Contest ist längst auf
dem Weg von einem paneuropäischen
Musikantenstadl hin zu einer
Chartrealitäts-nahen Leistungsschau des
Pop-Schaffens der Ersten Welt. Und wenn der
deutsche Beitrag hierbei mehr leisten will, als das
jüngst von Plattenfirmenfunktionären
gegründete deutsche Musik-Exportbüro
German Sounds", ist es nur zielführend,
wenn die nationale Vorauswahl halbwegs die aktuelle
&endash; und damit auch multilinguale &endash;
Hitparadenwirklichkeit abbildet.
Eine Realität, in der
Schlager überhaupt nicht mehr vorkommt,
abgehangener 90er-Jahre-Techno (Westbam) kaum mehr,
wund-gerappter Gossen-HipHop (Setlur) immer
seltener, dafür aber gecasteter Mehrheits-Pop
(Overground, Wonderwall) und deutschsprachige
Soul-Gassenhauer (Laith Al-Deen) immer
häufiger. Mal sehen, was passiert, wenn zum
Beispiel die Hamburger
Bierzelt-Technoschlümpfe von Scooter mit den
Berliner Elektro-Punker Mia kollidieren.
Oder mit dem noch zu
ermittelnden Sieger von SSDSGPS". Das steht
für Stefan sucht den
Super-Grand-Prix-Star", das Ergebnis eines Besuches
von Meier-Beer in Stefan Raabs Show TV
total". Nachdem Meier-Beer (Raab: "Der Bernie
Ecclestone des Grand Prix") das Reformkonzept
erklärt hatte, gab es für den Entertainer
kein Halten mehr. 2000 mit "Wadde Hadde Dudde Da"
selbst einen respektablen 5. Platz beim Song
Contest" geholt, engagierte Raab flugs Thomas
Anders und die Grand-Prix-Oma Joy Fleming
(Endrundenteilnehmerin in Stockholm 1975) als
Juroren und lässt nun in seiner Sendung
Kandidaten antanzen. Drei von ihnen treten zum
Finale am 20. Februar an, dort bestimmt der
Zuschauer, mit wem Stefan Raab seinen (noch
geheimen) Eurovisions-Song produzieren wird. Doch
selbst damit hat das Raab-Team noch längst
keine Wild Card für die Teilnahme am
Vorentscheid: Auch dieser Song muss sich erst mal
in den Charts platzieren, um als einer von maximal
zwölf Titeln in die Vorauswahl zu kommen.
Vielleicht war genau dies der
Hamburger Hip-Hop-Band Beginner dann doch zu
mühsam. Ursprünglich ganz vorn im
Startfeld genannt, sagten sie mittlerweile ihre
Beteiligung mit einer kryptischen Erklärung
ab: Liebe Menschen, aufgrund einer
ernüchternden Erkenntnis müssen wir
leider unsere Teilnahme zurückziehen. Es fehlt
uns schlicht und ergreifend an Lebenserfahrung,
diese letzte noch bestehende Hürde im
Showgeschäft souverän zu
nehmen."
Ihre Absage zeichneten sie
mit: Germany 0 Points".
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2004 Peter Wagner, alle Rechte
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