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Feature in der Financial Times Deutschland 15.01.2004

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Pop rein, Schlager raus: versinkt der „European Song Contest" in pseudo-internationaler Hitparaden-Beliebigkeit?

Schlagerland ist abgebrannt

Von Peter Wagner, Hamburg

Showdown oder Götterbelämmerung? Sie heißen Jürgen Meier-Beer und Dieter-Thomas Heck, gelten als Giganten der Kleinkultur und lassen jetzt ihre scharfen Waffeln sprechen: „Dieter Thomas Heck sollte man dafür, dass er einen modernen internationalen Musikwettbewerb mit traditionellem deutschen Liedgut bestücken will, als Vaterlandsverräter bezeichnen", donnerte Meier-Beer, als NDR-Unterhaltungschef seit Menschengedenk verantwortlich für das, was zu Udo Jürgens Zeiten noch „Grand Prix d' Eurovision" hieß. Das ist lange her. Inzwischen nennt sich der Eurobardenwettstreit „Eurovision Song Contest", und seine Kämpen werden längst nicht mehr durch erlesene Jurys bestimmt, sondern vom Volke selbst gewählt.

Solch geartete Basisdemokratie kennt Heck zwar aus seinen seligen Zeiten als Schnellsprechmoderator der „ZDF Hitparade". Doch die eigentlichen „Melodien für Millionen" (aktuelle Heck-Sendung) werden längst nicht mehr von Nicole, Roland Kaiser oder Katja Ebstein gesungen, sondern von Sabrina Setlur, Scooter, Laith Al-Deen, Overground, Westbam, Mia oder Wonderwall &endash; vorwiegend also Künstler, die sich aktuell in den Hitparaden bewährt haben. Und deshalb vom NDR zusammen mit der Plattenindustrie und dem Kölner Musiksender VIVA dazu auserkoren wurden, bei der nationalen Vorentscheidung des „Eurovision Song Contest" am 19. März 2004 in der Arena Berlin-Treptow anzutreten. Zuvor müssen sie sich noch in etlichen VIVA- „Euroclash"-Specials bewähren und idealerweise in die Charts kommen. Nur dann nämlich, meint Meier-Beer, könne die vollmundig als "Germany 12 Points!" titulierte Vorauswahl-Sendung ihrem neuen Anspruch gerecht werden: „ Mit dem Begriff "Grand Prix d'Eurovision" wird eine Tradition beschworen, die in den 60er Jahren ihren Höhepunkt hatte, aber längst überholt ist. Denn inzwischen ist im Eurovision Song Contest nur noch internationale Popmusik erfolgreich. Darauf haben sich viele andere Länder längst eingestellt. Davon dürfen wir uns nicht abhängen lassen."

Das neue Auswahlverfahren zeigte beim ewigen Eurovisions-Goldkettchen Ralph Siegel (2002 mit Corinna May nur Platz 21, 2003 mit Lou auf Platz 12) sofort Wirkung: „Als ich hörte, dass man sich nur über Viva qualifizieren kann, habe ich für mich keine Chancen gesehen", zog er sich schmollend zurück. Ein Grand Prix ohne Siegel? Kann nicht sein. Jetzt startet er mit dem Song "It's a Wonderful Life", den er für das Mädchenduo Ali & Lis geschrieben hat, in die Vorentscheidung. Für Malta.

„So etwas kann man nicht machen", quengelte denn auch Dieter Thomas Heck im Boulevardblatt "Bunte". Der VIVA-Bewährungstest verhindere, „dass Schlager zum Einsatz kommen." Heck erhielt via „Bild" prompt Rückendeckung von der alten Garde: „Die Anschuldigungen sind extrem diskriminierend" (Nicole, vor 21 Jahren „Grand Prix"-Gewinnerin) und „Ich finde es gut, dass Dieter Thomas Heck für das traditionelle deutsche Liedgut kämpft" (Uwe Hübner, „Hitparade"-Tantiemenversorgungsbezieher). Meier-Beer erwiderte das Feuer in einem „taz"-Interview: Hecks deutsche Leitkultur würde „ebenso in die Niederlage führen, wie es Russland passiert wäre, hätte es voriges Jahr stalinistische Balalaikas statt T.A.T.U. entsandt".

Bevor nun auch noch von flügellahmen deutschen Schlager-Stukas die Rede ist, werfen wir lieber einen kurzen Blick in die aktuellen Regularien des „Eurovision Song Contest", an die sich alle 14 Länder halten müssen, die sich beim Finale am 15. Mai in Istanbul präsentieren. Darin nämlich wird nur noch empfohlen, dass die Lieder einen "national flavour" haben sollen. Früher gab es dafür konkrete Vorgaben (Landessprache, traditionelle Instrumente, volkstümliche Kostüme). Der Song Contest ist längst auf dem Weg von einem paneuropäischen Musikantenstadl hin zu einer Chartrealitäts-nahen Leistungsschau des Pop-Schaffens der Ersten Welt. Und wenn der deutsche Beitrag hierbei mehr leisten will, als das jüngst von Plattenfirmenfunktionären gegründete deutsche Musik-Exportbüro „German Sounds", ist es nur zielführend, wenn die nationale Vorauswahl halbwegs die aktuelle &endash; und damit auch multilinguale &endash; Hitparadenwirklichkeit abbildet.

Eine Realität, in der Schlager überhaupt nicht mehr vorkommt, abgehangener 90er-Jahre-Techno (Westbam) kaum mehr, wund-gerappter Gossen-HipHop (Setlur) immer seltener, dafür aber gecasteter Mehrheits-Pop (Overground, Wonderwall) und deutschsprachige Soul-Gassenhauer (Laith Al-Deen) immer häufiger. Mal sehen, was passiert, wenn zum Beispiel die Hamburger Bierzelt-Technoschlümpfe von Scooter mit den Berliner Elektro-Punker Mia kollidieren.

Oder mit dem noch zu ermittelnden Sieger von „SSDSGPS". Das steht für „Stefan sucht den Super-Grand-Prix-Star", das Ergebnis eines Besuches von Meier-Beer in Stefan Raabs Show „TV total". Nachdem Meier-Beer (Raab: "Der Bernie Ecclestone des Grand Prix") das Reformkonzept erklärt hatte, gab es für den Entertainer kein Halten mehr. 2000 mit "Wadde Hadde Dudde Da" selbst einen respektablen 5. Platz beim „Song Contest" geholt, engagierte Raab flugs Thomas Anders und die Grand-Prix-Oma Joy Fleming (Endrundenteilnehmerin in Stockholm 1975) als Juroren und lässt nun in seiner Sendung Kandidaten antanzen. Drei von ihnen treten zum Finale am 20. Februar an, dort bestimmt der Zuschauer, mit wem Stefan Raab seinen (noch geheimen) Eurovisions-Song produzieren wird. Doch selbst damit hat das Raab-Team noch längst keine Wild Card für die Teilnahme am Vorentscheid: Auch dieser Song muss sich erst mal in den Charts platzieren, um als einer von maximal zwölf Titeln in die Vorauswahl zu kommen.

Vielleicht war genau dies der Hamburger Hip-Hop-Band Beginner dann doch zu mühsam. Ursprünglich ganz vorn im Startfeld genannt, sagten sie mittlerweile ihre Beteiligung mit einer kryptischen Erklärung ab: „Liebe Menschen, aufgrund einer ernüchternden Erkenntnis müssen wir leider unsere Teilnahme zurückziehen. Es fehlt uns schlicht und ergreifend an Lebenserfahrung, diese letzte noch bestehende Hürde im Showgeschäft souverän zu nehmen."

Ihre Absage zeichneten sie mit: „Germany 0 Points".

 

 

 

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