Große
Musik und kleiner Geschmack – die 49. Grammy-Verleihungen in Los Angeles
Drei Hühner in Schlafröcken
Von Peter Wagner, Hamburg
Jetzt wird es langsam
eng auf den Kaminsimsen von Martie Seidel, Natalie Maines und Emily Robison. Die drei Dixie Chicks müssen nun fünf
weitere Grammys unterbringen – zusätzlich zu den acht dünnvergoldeten
Mini-Grammophonen, die sie in den Jahren 1998 bis 2004 ergattern konnten.
Auch sonst geriet die diesjährige Grammy-Verleihung im Staples Center/ Los
Angeles zu einer ziemlich engen Angelegenheit. Schließlich mussten nicht
weniger als 108 Preise vergeben werden, von der begehrtesten Kategorie
„Album des Jahres“ („Taking The Long Way – Dixie Chicks) bis hinunter zur
„Besten Verpackung einer Limited Edition-CD“ – einer von vier Grammys, die
die Red Hot Chili Peppers für ihr Album „Stadium Arcadium“ und den Song
„Dani California“ bekamen. Kein Wunder, dass ein am sonntäglichen
Preisverleihungsabend nicht anwesender Bob Dylan mit seinen beiden Awards
(„Rock Performance“ und „Folk Album“) nur für einen Sekundenbruchteil
als Bildschirm-Insert erwähnt wurde oder der Jazz-Gitarrist George Benson
trotz zweier Grammys und braver Anwesenheit in L.A. noch nicht einmal kurz
ins TV-Bild durfte.
Ein bisschen vorbei
ging der glamouröse Abend auch an dem heimlichen Gewinner: Rick Rubin
erhielt zwar den begehrten Grammy in der Sparte „Produzent des Jahres“
(u.a. für seine Arbeiten mit Johnny Cash und Neil Diamond), produzierte
aber auch die Sieger-Platten der Dixie Chicks und der Red Hot Chili Peppers
und ist damit an acht weiteren Auszeichnungen beteiligt. Seltsam
unbeteiligt und abwesend grinsend stand er jedoch mehrfach neben sich und
den drei Dixie Chicks auf der Bühne und musste jedes Mal mit sanfter Gewalt
von den Show-Assistentinnen zum Ausgang bugsiert werden.
Die Drei
Ex-Texanerinnen der Dixie Chicks reagierten gerührt auf ihre Awards, von
Tränen geschüttelt zeigten sie sich aber erst bei dem Hauptpreis.
Branchen-Insider werten die Verleihung für das „Album des Jahres“ auch als
eine Art Friedenspfeife, die die strukturkonservative
Country-Musikindustrie den drei streitbaren Ladies reichen wollte. Immerhin
boykottiert die gesamte County-Betonkopf-Front das Trio, seitdem Emily
Robison vor vier Jahren bei einem Konzert in London sich öffentlich
„als Texanerin für unseren Präsident schämen“ musste. Dies, und die
unablässige Kritik am Irak-Krieg der USA ließ die Chicks im Bible-Belt und
den Südstaaten in Ungnade fallen. Ihre CDs wurden bei „Destroy The
Chicks“-Shows im Mittleren Western von großstolligen Pickup-Reifen um die
Wette geschreddert, die Songs im Radio boykottiert.
Mit Texas haben die
Dixie Chicks schon länger nichts mehr am Hut, sie leben in New York und Los
Angeles – und auch ihre Musik ist seit Jahren eher im Westcoast-Rock denn
im Country&Western zu Hause. Schön, dass sie sich bei all der Abwendung
vom Ländlichen zumindest noch ihren unglaublich schlechten
Kleidungsgeschmack bewahren konnten. Die Drei holten sich ihre Preise in
einer bis dato unbekannten, explosiven Stoffbahnmischung aus Umstandskleidchen
und jenen Frottee-Umkleidesäcken ab, in denen Mutti in den 60ern am
Adriastrand ihre Badeanzüge wechselte. Martie Seidel vergaß denn auch
nicht, in einer ihrer Dankesreden an Rick Rubins spontane Reaktion zu
erinnern, als der vor Jahren das erste Mal die Chicks sah: „Recht
talentiert, aber ziemlich schlecht angezogen“.
Durch die
Zeitbeschränkung auf 60 Sekunden gerieten die meisten Danksagungen angenehm
kurz, die R&B-Wiedergängerin Mary J. Blige schaffte sogar einen Rekord.
Sie nannte nicht weniger als 55 Namen von Jesus bis zum Plattenfirmenboten
– was sie freilich nur durch unbeirrtes Überziehen ihrer Redezeit hinbekam.
Blige heimste drei Grammys ein und musste sich mehrfach umziehen für
diverse Einsätze als Preisgekrönte, als Duo-Partnerin für den Rapper
Ludacris („Best Rap Album“) und für ihre eigene Performance, bei der sie
sich selbst fast mehr mitriss als ihr Publikum.
Grammy-Abend sind seit
jeher ja nicht nur Eitelkeitsjahrmärkte, sondern auch Gelegenheiten,
seltene Live-Auftritte zu sehen. Diesmal punkteten Christina Aguilera
(„Beste Pop-Sängerin“) mit einer verrenkungsgenauen Adaption von „It’s A
Man’s Man’s World“ des kürzlich verstorbenen Funk-Erfinders James Brown und
die wiedervereinigten The Police, deren „Roxanne“ Hoffnung auf eine Reunion-CD
und –Tournee machte.
Deutsche Künstler mussten leider weitestgehend
draußen bleiben. Noch nicht einmal der Award-gewohnte Bass-Bariton Thomas
Quasthoff konnte eine vierte Trophäe hinzugewinnen, aber immerhin gab es
zwei Auszeichnungen in den Disziplinen Klassik und Jazz: Produzent Andreas
Neubronner für die Einspielung von Mahlers Siebter mit Tilson Thomas sowie
die WDR-Big Band für „Some Skunk Funk“ mit dem im Januar verstorbenen
Saxofonisten Michael Brecker. Beim Rest von Pop, Rock oder Jazz dürfen die
Deutschen ohnehin nicht mitspielen – das machen die Achsenmächte der
Popularmusik, USA und England, seit jeher untereinander aus.
Â(c) copyright 2007 Peter
Wagner, alle Rechte vorbehalten
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