Feature in der Financial Times Deutschland Februar 2007

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Große Musik und kleiner Geschmack – die 49. Grammy-Verleihungen in Los Angeles

Drei Hühner in Schlafröcken

Von Peter Wagner, Hamburg

Jetzt wird es langsam eng auf den Kaminsimsen von Martie Seidel, Natalie Maines und Emily Robison. Die drei Dixie Chicks müssen nun fünf weitere Grammys unterbringen – zusätzlich zu den acht dünnvergoldeten Mini-Grammophonen, die sie in den Jahren 1998 bis 2004 ergattern konnten. Auch sonst geriet die diesjährige Grammy-Verleihung im Staples Center/ Los Angeles zu einer ziemlich engen Angelegenheit. Schließlich mussten nicht weniger als 108 Preise vergeben werden, von der begehrtesten Kategorie „Album des Jahres“ („Taking The Long Way – Dixie Chicks) bis hinunter zur „Besten Verpackung einer Limited Edition-CD“ ­– einer von vier Grammys, die die Red Hot Chili Peppers für ihr Album „Stadium Arcadium“ und den Song „Dani California“ bekamen. Kein Wunder, dass ein am sonntäglichen Preisverleihungsabend nicht anwesender Bob Dylan mit seinen beiden Awards („Rock Performance“ und „Folk Album“) nur für einen  Sekundenbruchteil als Bildschirm-Insert erwähnt wurde oder der Jazz-Gitarrist George Benson trotz zweier Grammys und braver Anwesenheit in L.A. noch nicht einmal kurz ins TV-Bild durfte.

 

Ein bisschen vorbei ging der glamouröse Abend auch an dem heimlichen Gewinner: Rick Rubin erhielt zwar den begehrten Grammy in der Sparte „Produzent des Jahres“ (u.a. für seine Arbeiten mit Johnny Cash und Neil Diamond), produzierte aber auch die Sieger-Platten der Dixie Chicks und der Red Hot Chili Peppers und ist damit an acht weiteren Auszeichnungen beteiligt. Seltsam unbeteiligt und abwesend grinsend stand er jedoch mehrfach neben sich und den drei Dixie Chicks auf der Bühne und musste jedes Mal mit sanfter Gewalt von den Show-Assistentinnen zum Ausgang bugsiert werden.

 

Die Drei Ex-Texanerinnen der Dixie Chicks reagierten gerührt auf ihre Awards, von Tränen geschüttelt zeigten sie sich aber erst bei dem Hauptpreis. Branchen-Insider werten die Verleihung für das „Album des Jahres“ auch als eine Art Friedenspfeife, die die strukturkonservative Country-Musikindustrie den drei streitbaren Ladies reichen wollte. Immerhin boykottiert die gesamte County-Betonkopf-Front das Trio, seitdem Emily Robison vor vier Jahren bei einem Konzert in London sich öffentlich  „als Texanerin für unseren Präsident schämen“ musste. Dies, und die unablässige Kritik am Irak-Krieg der USA ließ die Chicks im Bible-Belt und den Südstaaten in Ungnade fallen. Ihre CDs wurden bei „Destroy The Chicks“-Shows im Mittleren Western von großstolligen Pickup-Reifen um die Wette geschreddert, die Songs im Radio boykottiert.

 

Mit Texas haben die Dixie Chicks schon länger nichts mehr am Hut, sie leben in New York und Los Angeles – und auch ihre Musik ist seit Jahren eher im Westcoast-Rock denn im Country&Western zu Hause. Schön, dass sie sich bei all der Abwendung vom Ländlichen zumindest noch ihren unglaublich schlechten Kleidungsgeschmack bewahren konnten. Die Drei holten sich ihre Preise in einer bis dato unbekannten, explosiven Stoffbahnmischung aus Umstandskleidchen und jenen Frottee-Umkleidesäcken ab, in denen Mutti in den 60ern am Adriastrand ihre Badeanzüge wechselte.  Martie Seidel vergaß denn auch nicht, in einer ihrer Dankesreden an Rick Rubins spontane Reaktion zu erinnern, als der vor Jahren das erste Mal die Chicks sah: „Recht talentiert, aber ziemlich schlecht angezogen“.

 

Durch die Zeitbeschränkung auf 60 Sekunden gerieten die meisten Danksagungen angenehm kurz, die R&B-Wiedergängerin Mary J. Blige schaffte sogar einen Rekord. Sie nannte nicht weniger als 55 Namen von Jesus bis zum Plattenfirmenboten – was sie freilich nur durch unbeirrtes Überziehen ihrer Redezeit hinbekam. Blige heimste drei Grammys ein und musste sich mehrfach umziehen für diverse Einsätze als Preisgekrönte, als Duo-Partnerin für den Rapper Ludacris („Best Rap Album“) und für ihre eigene Performance, bei der sie sich selbst fast mehr mitriss als ihr Publikum.

 

Grammy-Abend sind seit jeher ja nicht nur Eitelkeitsjahrmärkte, sondern auch Gelegenheiten, seltene Live-Auftritte zu sehen. Diesmal punkteten Christina Aguilera („Beste Pop-Sängerin“) mit einer verrenkungsgenauen Adaption von „It’s A Man’s Man’s World“ des kürzlich verstorbenen Funk-Erfinders James Brown und die wiedervereinigten The Police, deren „Roxanne“ Hoffnung auf eine Reunion-CD und –Tournee machte.

 

Deutsche Künstler mussten leider weitestgehend draußen bleiben. Noch nicht einmal der Award-gewohnte Bass-Bariton Thomas Quasthoff konnte eine vierte Trophäe hinzugewinnen, aber immerhin gab es zwei Auszeichnungen in den Disziplinen Klassik und Jazz: Produzent Andreas Neubronner für die Einspielung von Mahlers Siebter mit Tilson Thomas sowie die WDR-Big Band für „Some Skunk Funk“ mit dem im Januar verstorbenen Saxofonisten Michael Brecker. Beim Rest von Pop, Rock oder Jazz dürfen die Deutschen ohnehin nicht mitspielen – das machen die Achsenmächte der Popularmusik, USA und England, seit jeher untereinander aus.

 

 

 

 

 

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