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Review in der Financial Times Deutschland 20.10.2003

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Bob Dylan, 17.10.2003, HH, Docks

Last Man Standing

Von Peter Wagner, Hamburg

Besuchen Sie Bob Dylan, solange er noch steht. Ganz im Ernst - gehen Sie da hin. Nicht nur, weil man ja nie weiss, bei Männern über 60. Musiker insbesondere, oder - noch schlimmer - Legenden. Diese Legende jedenfalls lebt, sie lebt sogar ganz offensichtlich viel unbeschwerter, leichtfüßiger und spielfreudiger als noch vor zehn oder 15 Jahren.

Der Hamburger Club „Docks" fasst an normalen Tagen 900 Besucher, an besonderen Tagen auch schon mal 1200. Und ein Tag, an dem Bob Dylan in einem für seine Verhältnisse fast schon gespenstisch intimen Rahmen auftritt - so ein Tag ist natürlich ein ganz besonderer. 1200 Tickets waren für diesen Abend in der Vorverkauf gegangen, nochmal so viele für das zweite „Docks"-Konzert am Samstag. Eine Dreiviertel Stunde später rasselten die Gitter herunter - ausverkauft.

Unter solchen Umständen verzeiht man dem Altmeister gern die eine oder andere Schrulle. Den frühen Konzertbeginn zum Beispiel. Als kurz vor 21 Uhr die letzten Besucher Einlass begehrten - in dem Glauben, ohne lange Wartezeit pünktlich zum Konzertbeginn zu kommen - da kamen ihnen 1198 beglückte Dylan-Fans entgegen. Bob hatte tatsächlich kurz nach 19 Uhr begonnen. Eine Anfangszeit, wie sie man sonst nur bei Shows der Technoschlümpfen kennt, aus Rücksicht auf das Schlafbedürfnis der deutlich unter zehn Jahre alten Durchschnittsbesucher.

Bei Bob Dylan ist das so ähnlich, wenngleich auf dem anderen Ende der Altersskala. Es gibt im Moment nur ganz wenige Konzerte, bei denen man sich als Anfangs-Vierziger so blutjung fühlen kann - von Howard Carpendale oder den Flippers mal abgesehen. Deutlich jenseits der 55, wiegt ein typischer mitteleuropäischer Dylan-Fan beim Besuch der Audienz seines Gurus nur vorsichtig im Beat der mit grandioser Dynamik aufspielenden Begleitband mit. Schließlich ist man hier bei einem Meister des mit wohlbedachter Melodie gesetzten Wortes - und nicht bei Volkstümelrockveranstaltungen wie den Rolling Stones, die eine vergleichbare Altersgruppe bedienen. Dylanologen also mehrheitlich, die sich natürlich längst aus dem Internet die Setlists der jüngsten Vorgänger-Konzerte in Skandinavien herunter geladen und zur angemessen exegetischen Vorbereitung auf die Hamburger Show noch mal die Texte sämtlicher in Frage kommender Songs repetiert hatten. Dumm gelaufen für die Hardliner, denn Dylan tauschte auf dem kurzen Weg von Kopenhagen nach Hamburg sechs der 17 Songs aus. Gut, ein Kandidat für „Number One"- Revuen war er nie, deshalb konnte auch niemand erwarten, neben den großartig interpretierten Hits „ It's Alright, Ma (I'm Only Bleeding)", „Like A Rolling Stone" und der fast schon Hardrock-mäßig krachenden letzten Zugabe „All Along The Watchtower" auch noch ein Gassenhauer-Medley mit Songs wie „Mr. Tambourine Man", „Highway 61 Revisited" oder gar „Blowin' In The Wind", „Times They Are A-Changin'" und „Knockin' on Heaven's Door" serviert zu bekommen. Fehlanzeige.

Doch exakt diese Entscheidung, sich auf weniger breit getretene Titel zu besinnen, machte den Hamburger Abend zu einem musikalischen Leckerbissen. Der Opener „Maggies Farm", gleich gefolgt von einem zart akustisch sirrenden „Señor (Tales Of Yankee Power)", bis hin zum ewig nicht mehr gehörten „Man In The Long Black Coat" vom 1989er Album „Oh Mercy" - da gab es viel zu staunen, zu grübeln, wiederzuentdecken. Und zu analysieren: Was genau will uns der Künstler sagen, wenn er schon wieder nichts sagt? Zumindest fast nichts. Bob Dylan, jenseits seiner Lieder wortkarg bis an die Grenzen der Stummheit, rang sich neben einem kurzen „thnkyu" nur eine nicht minder unverständliche Vorstellung seiner Musiker ab. Immerhin konnten wir so erfahren, dass der neue zweite Gitarrist neben Dylans Haus-Saitenmann Larry Campbell fast so gut wie damals „Msnrufnr" spiele. Wenn uns Bob nicht wieder mal die - in diesem Zusammenhang nicht ganz unwichtigen - Vokale unterschlagen hätte, wäre ein „Mason Ruffner" dabei herausgekommen

Doch all das sind nur kleine Nebensächlichkeiten angesichts der Gelegenheit, eine Legende wie Bob Dylan in einem kleinen Club zu sehen, der wunderbar sauber ausgesteuerten Musik zu lauschen und sich ein bisschen darüber zu wundern, was aus in den letzten 40 Jahren aus diesem Jungen mit der Mundharmonika geworden ist: ein noch immer spindeldürrer Senior, von dem man vor allem das hakennasige Profil zu sehen bekommt. Dylan steht nämlich nicht - wie es sich für einen Frontmann eigentlich gehören würde - an der vorderen Front. Nein, er hängt wie eine Mischung aus Jerry Lee Lewis und einem lebenden Fragezeichen leicht gebückt die meiste Zeit an den Tasten eines Elektroklaviers am äußersten linken Rand der Bühne, fingert ab und zu nach einer Mundharmonika, um sie dann meistens doch wieder ungespielt wegzulegen und singt dabei mit starrem Blick auf die Gitarrenverstärker seines Mitmusikers. Nicht, dass es der Musik abträglich gewesen ist, Dylan die meiste Zeit am Keyboard statt an der Gitarre zu hören. Seit vielen Jahren wissen seine Begleitmusiker um Dylans nachlassende Feinmotorik an den sechs Saiten, und auch Altersgenosse Eric Clapton bemerkte schon Ende der Achtziger Jahre, dass das Zusammenspiel mit Bob bei Konzerten, nun ja, manchmal doch „etwas unberechenbar" sei. Als Tastenmann merkt man Dylan davon nichts an, er verspielt sich kaum, hält den Takt, vergisst fast keinen Wechsel und zeigt, dass seine einzigartige Stimme mit einem Klang zwischen Rachenkrebs und rostigen Sargnägeln nach wie vor neunzig Konzertminuten durchhält.

Auch wenn die anderen Hallen seiner aktuellen Tournee sicher nicht die Intimität der Hamburger „Docks" bieten können: Lebendiger und derart nah bei sich selbst spielend wird man diese Rock-Legende wahrscheinlich nie wieder erleben können. Hingehen!

 

 

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