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Von der Gala zum Corporate Gig (Feature, ME/Sounds 06/99)

Rock für die Abteilungsleiter

Von der Gala zum Corporate Gig: Mit Konzerten bei Firmenfeiern verdienen sich auch Spitzenstars ein nettes Zubrot

Nein, wie ein normales Rock-Publikum sehen sie nicht gerade aus. Männer in den besten Jahren, allesamt mit Anzug und Krawatte, auf dem Namens-Schildchen am Revers steht so etwas wie "Hi - my name is Rupert". Und trotzdem spielt oben auf der Bühne in dem festlich geschmückten Saal auf Hawaii die Band ihre Show mit der gleichen Kraft (und Lautstärke), als stünde sie im Stadion-Rampenlicht. Pepsi Cola hatte seine weltweit erfolgreichsten Regionalleiter zu einer netten Party geladen - 3.500 nicht-zahlende Gäste, viergängiges Menü, Champagner und eine nette Live-Band namens Rolling Stones. "Incentive" nennt man das, mit "Mitarbeitermotivierung" nur holprig eindeutschbar.

Ohnehin sind die Amerikaner uns auch in dieser Nische zeitgemäßer Entertainment-Vermarktung ein gewaltiges Stück voraus. Wenn eine US-Firma ihre Spitzenkräfte bei einer Party von Bob Dylan oder den Eagles, den Bee Gees oder Jewel musikalisch unterhalten lassen will, bucht sie diese Künstler einfach über eine von mehreren Dutzend Agenturen, die sich auf die Organisation von Firmenfeiern im ganz großen Stil spezialisiert haben. Während hierzulande ausgemusterte Show-Wracks von Costa Cordalis bis Jennifer Rush angeheiterte Staubsaugervertiebsleiter anheizen, kennen in den USA beide Seiten - Firmen und Künstler - kaum Berührungsängste.

Warum auch - solange die Kasse und die Stimmung stimmt. Sogar Mick Jagger, auf den Gig für "Pepsi" angesprochen, zuckt selbstverständlich mit den Schultern: "Wir machen das wegen des Geldes, würde ich sagen." Geld, das in Jaggers Spielklasse natürlich für die Veranstalter keine Rolle spielen darf. Wenn "Applied Materials", Amerikas größter Hersteller von Computer-Gehäusen, zum Beispiel für die Firmenfeier Bob Dylan erstmals dazu bewegt, sich auf der Bühne von der Band seines Sohnes (The Wallflowers) begleiten zu lassen, muß sie dafür einen ähnlich deutlich siebenstelligen Dollarbetrag auf den Tisch legen, wie "Pepsi" für die Rolling Stones. Konkurrent "Coca Cola" dagegen übte sich zwei Wochen später in Bescheidenheit und ließ für die Aktionärsparty im Anschluß an die Hauptversammlung die B52's aufspielen. Sicher auch keine schlechte Partyband - und mit knapp 80.000 Dollar deutlich preiswerter.

Die Gagen sind stets höher als bei regulären Konzerten, die exakten Summen bleiben jedoch meist Geheimsache. Für die spezialisierten Booking-Agenturen wie die "Creative Artists Agency" (CAA) in Beverly Hills rollt der Rubel vor allem durch die diskrete Vermittlung: "Das ist ein ultraheißes Geschäft", grinst der CAA-Booker Christopher Dalston. Er vermittelt Künstler wie Bob Dylan, Jewel, Stevie Winwood oder Santana an interessierte Industriefirmen. "Corporate Gigs" nennen das die Musiker. Michael Krudewig mit seiner Krefelder Agentur Krudewig-Entertainment, einer der führenden deutschen Incentive-Booker, backt kleinere Brötchen. Er vermittelt für Galas, wie "corporate gigs" bis heute bei deutschen Künstlern heißen, Acts wie Geier Sturzflug, Black Föös, die Flippers und die Abba Revival Band. Der Glanz, den ein Mick Jagger in eine Limonadenhersteller-Feier bringen kann, spiegelt sich hierzulande nur blaß wieder. Üblich ist die eher konservative Anpreise, mit der Agenturen wie "Eventpeople" in Köln zum Beispiel Roberto Blanco als Stimmungskanone auf Betriebsfeiern abfeuern lassen wollen: "Mit Roberto Blanco als Stargast ist die Stimmung unter Ihren Gästen garantiert, platzt der Saal aus allen Nähten. Scheinbar mühelos bringt Roberto Blanco caribisches Flair in jede Veranstaltung. Bald auch in Ihre?"

Internationale Künstler sind für deutsche Unternehmen als Stimmungsmacher nur interessant, wenn sie den kleinsten gemeinsamen Nenner von Sekretärin und Vertriebsleiter erfüllen: Chris Rea, Bob Geldof oder Chris de Burgh stehen auf der Liste des mit "Eventpeople" kooperierenden Agenten Heinz S. Weiss. Doch auch ein nationaler Künstler kann teuer werden: Wer zum Beispiel Modern Talking für seine Party buchen will, muß mindestens 120.000 Mark abdrücken. Dafür bringen Bohlen&Anders dann allerdings auch ihre Live-Band samt Bühne und Technik mit. An internationalen Spitzenstars spielten einzig die Rolling Stones spielten in Wolfsburg vor den versammelten "VW"-Arbeitern. Mick& Keith hatten diese Kröte als Teil der Multimillionen-Toursponsoring-Verträge zu schlucken.

In Amerika dagegen kommen die einschlägigen Agenturen kaum mit der Bearbeitung der Anfragen hinterher. T.E.I. in Nashville (Four Tops, Chuck Berry, Commodores) läßt The Tubes "White Punks On Dope" entertainmentwilligen US-Managern entgegenbrüllen, Richard de la Font in Tulsa hat Little Richard, The Temptations und B.B. King im Köcher, und auch Jonathan Scharer von "Overland Entertainment" in New York (Klienten: Dylan, Chaka Khan, Eagles etc.) sieht frühere Unvereinbarkeiten zwischen Pop und Kapital zusehends schwinden: "Die Acts bekommen hier unglaublich hohe Gagen. Viele Künstler finden das zwar nach wie vor unmoralisch, aber das Plattengeschäft hat sich extrem gewandelt - die Karrieren sind nicht mehr so langlebig, wie sie früher einmal waren, und die Musiker haben Zukunftsängste. Warum soll man da nicht mal nebenbei 100.000 Dollar oder mehr machen?"

Das betrifft auch aktuellere Acts als Kenny Loggins oder Chicago. Vor allem jüngere Unternehmen wie Nintendo oder die Computerfirmen aus dem Silicon Valley fragen nach angesagten Bands. CAA-Mann Christopher Dalston verrät: "Erst vorhin hat einer angerufen. Er wollte irgendwas radikales. So was wie Marilyn Manson." Auch Pat DiNizio, Gitarrist bei den Smithereens, glaubt nicht, daß ihm "corporate gigs" das Image versauen: "Sie verlängern vor allem die Lebensspanne der Band. Und können sogar Spaß machen: Neulich haben wir in einem Club in Atlanta vor Angestellten einer Pharma-Firma gespielt. Alle trugen sie brav Anzug und Krawatte, aber nach ein paar Minuten war die Hölle los. Die Jungs, die eigentlich zu einer Vertriebstagung gekommen waren, stürmten auf die Bühne und übten sich massenhaft im Stage-Diving."

Peter von Stahl

 

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