Schluß mit lustig
Ausgelacht: Die
Comedy-Schwemme hat den Humor-Standort Deutschland
endgültig platt gemacht (Feature, Rolling
Stone 6/99)
Was haben wir wieder gelacht, neulich auf
SATPRO7ARDRTLZDF: "Mein Großvater
ernährt sich sehr einseitig. Ach, er lebt im
Heim? Nein, er hat nur einen Arm." Witzischkeit,
das wissen wir nicht nur von Hape Kerkeling, kennt
keine Grenzen. Das gilt erst recht, seitdem sich
mit dem gespielten Witz - neudeutsch: "Comedy" -
riesige Konzerthallen füllen, TV-Quoten nach
oben treiben und Hunderttausende von CDs verkaufen
lassen. Ließen - denn langsam scheint
Schluß mit lustig zu sein. Den Machern des
Comedy-Booms bleibt das Lachen im Halse stecken:
Nur noch wenige Stars wie Rüdiger Hoffmann
oder Michael Mittermeier füllen auf ihren
Tourneen die großen Säle, die TV-Quoten
der einschlägigen Spaß-Formate fallen
ungebremst in den Keller, und auch in den Charts
sind mit wenigen Ausnahmen kaum mehr Comedy-CDs zu
finden.
Der Grund für diese neue deutsche
Unlustigkeit liegt in der grassierenden
Humor-Inflation: Immer mehr Komödilletanten
klopfen in immer mehr Shows immer unterirdischere
Witze platt. Ein Overkill ähnlich wie
seinerzeit bei der Neuen Deutschen Welle: Auch
Comedy fing in Deutschland anarchistisch-aberwitzig
mit Könnern wie Kerkeling, Helge Schneider und
die frühen Boning/Dittrich vielversprechend
an, wurde aber ratzfatz von der Verwertungsmaschine
der Entertainment-Industrie mit heißer Luft
aufgeblasen. Luft, die inzwischen allerorten raus
ist. Die Einschaltquoten der wichtigsten
Comedy-Shows sind im freien Fall: "Die Wochenshow"
(SAT 1), in der Anke Engelke einst vor sechs
Millionen Fans humorisierte, verlor in den letzten
vier Monaten 1,5 Millionen Zuschauer. Die magische
Sieben ("7 Tage - 7 Köpfe", 7 Mio. Zuschauer)
halbierte die Quote, RTLs "Samstag Nacht" flog gar
ganz aus dem Programm.
Prominentestes Opfer ist Wigald Boning. Im
Affensakko hatte er lange die Lizenz zum
Blödeln, im Doofen-Duo ohne Deo ("Mief") die
Plattenmillionen in der Tasche und die
Toyota-Werbekohle auf dem Konto. Boning stieg
gerade noch rechtzeitig aus "Samstag Nacht" aus,
schrieb danach noch ein wenig beachtetes Buch zur
Bundestagswahl, alberte mit einer
Parteigründung herum und fragt sich nun in der
inneren Einkehr, warum das Leben doch kein Witz
ist. Olli Dittrich, der zweite Doofe und ehemaliger
"Samstag Nacht"-Star, erkannte schon vor Jahren den
Fluch der Lach-Abwärtsspirale: "Wir
müssen zu immer stärkeren Mitteln der
Sinnlosigkeit greifen, um diesen herrlichen Zustand
völliger Irritation beim Zuschauer zu
erreichen." Mittlerweile spüren Comedians wie
Monty Arnold selbst: "Das Publikum scheint
allmählich ebenso übersättigt wie
die Unterhaltungsredakteure der Sender."
Eine Einsicht, die freilich bei den
Öffentlich-Rechtlichen noch nicht angekommen
ist. Dort verheizt man nach wie vor
Gebührengelder in Millionenhöhe im
Glauben, mit Comedy Quote zu machen. Pech: Sissi
Perlinger und "hallo Schröder" (ARD) fielen
binnen weniger Folgen unter die Millionen-Marke,
nur beim ZDF denkt man noch, durch eine personelle
Aufstockung der Comedy-Redaktion an die
jüngeren Zuschauer (beim ZDF: zwischen 30 und
40 Jahren) heranzukommen.
Doch der Trend von der Comedy zur Tragedy
ist unaufhaltsam und hat längst auch den
CD-Markt erfaßt. Konnten vor wenigen Jahren
Blödel-Platten wie "Lieder, die die Welt nicht
braucht" (Die Doofen) noch eine Million
CD-Käufer begeistern, gehen 1999
einschlägige Witz-Alben noch nicht einmal mehr
"Gold". Außer Dauerbrenner Rüdiger
Hoffmann , der nach Otto und Badesalz 1998 den
Comedy-"Echo" bekam, schaffen es inzwischen fast
nur noch CDs mit direkter Anbindung an
populäre (und wirklich witzige) Radio-Shows in
die Charts: die Telefon-Terroristen von "Studio
Braun" (Radio Hamburg), Teddy Schultze und Elmar
Brandt alias Schrödi & Helmut von der
"Kanzler WG" (u.a. RTL Berlin und Antenne
Thüringen) oder das SRW3-Duo Osterwelle &
Ützwurst, deren absurde Fahrten im "Taxi
Sharia" stets bei Elvis in Memphis enden.
Vor allem der Bedarf nach
Rundfunk-Comedynachwuchs hat mittlerweile dazu
geführt, daß dieses Fach auch an
Akademien unterrichtet wird. Das Hannoveraner
"Frühstyxradio" hat mit der Hamburger Akademie
für Publizistik die "Radio Comedy Akademie"
gegründet, seit letzten Herbst unterrichten
auch in Köln Lachgranaten von Hugo Egon Balder
bis Rudi Carrell an der "Gag Academy"
(Träger: Adolf Grimme Akademie und die
TV-Firma "Brainpool"). Denn nach wie vor
läßt sich auch für Nachwuchs-Texter
mit Comedy gutes Geld verdienen: " Früher"
schreibt die "taz", "gingen arbeitslose Lehrer auf
die Straße und propagierten "Clown Power".
Heute nennen sie sich Comedians, arbeiten beim
Fernsehen und verdienen um ein Vielfaches mehr als
ihre Kommilitonen, die eine feste Stelle abbekommen
haben. Das System funktioniert." Ideologisch, meint
Rüdiger Hoffmann, sei dieser Job für
arbeitslose Studienräte political total
correct: "Ich glaube nicht, daß Comedy die
Leute verblödet. Die Leute, die auf so was
stehen, sind schon längst
verblödet."
Peter von Stahl
Für
alle auf dieser Site archivierten Texte gilt:
Abdruck oder Weiterverbreitung jeglicher Art
(Print, Funk, Online etc.) ausnahmslos nur mit
schriftlicher Genehmigung von Peter
Wagner/vonstahl. Veröffentlichungen - auch
auszugsweise - ohne ausdrückliche vorherige
Genehmigung durch Peter Wagner/vonstahl werden
zivilrechtlich verfolgt! Fragen Sie einfach bei uns
per
e-mail
oder telefonisch (040-528 762 36) nach unseren
Konditionen.
Zurück zum
Seitenanfang Zurück zur
Archivübersicht
|