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AudioVideoFotoBILD 04/2004 CD des Monates Norah Jones

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„Feels Like Home"

Von Peter Wagner, Hamburg

24 Jahre jung, 16 Millionen CDs verkauft, Acht Grammy-Preise gewonnen - wie hält Norah Jones den Erfolgsdruck des zweiten Albums aus? Mit einem Lächeln!

Noch nie war ein Erdbeben so leise und zärtlich wie „Come Away With Me", das Debütalbum der amerikanischen Jazz-Sängerin Norah Jones, mit dem sie vor zwei Jahren die Musikbranche weltweit durchschüttelte: von ihrer Sammlung ruhiger Lieder zwischen Folk, Jazz und Country gingen über 16 Millionen Stück über die Ladentheken. Kurz darauf war der Eintrag für das „Guinnes Buch der Rekorde" perfekt: Die Juroren der „Grammy"-Awards überhäuften Jones mit acht Trophäen. Nie zuvor hatte eine Debütantin in der Pop-Musik so schnell so viel erreicht.

Wer jetzt befürchtet, die junge Sängerin, Komponistin und graduierte Jazz-Pianistin (Diplom an der Musik-Universität von Nord-Texas) könnte bei den Aufnahmen für das Nachfolge-Album angesichts des großen Erfolgsdruckes zusammenbrechen, der kann aufatmen: Norah Jones geht es prima, die neue CD „Feels Like Home" erfüllt alle Erwartungen, und auch was die Verkäufe betrifft, wird sicher nichts anbrennen.

Norah Jones schafft mit „Feels Like Home" das Kunststück, die Arrangements im Vergleich zu den ohnehin sehr luftig produzierten Stücken auf „Come Away With Me" sogar noch ein Stück weiter abzuspecken. Vielen der neuen Liedern ist es sofort anzuhören, dass die Aufnahmen für das neue Album in zwei Etappen entstanden: Nach einer Studiophase packten Norah Jones und ihre Stamm-Band die Koffer und gingen mit dem neuen Material ein paar Wochen auf US-Tournee. Dadurch konnten die Songs auf der Bühne reifen und erstrahlen nun in ihren zart-reduzierten Arrangements - machmal nur mit Piano begleitet, manchmal mit kleiner Band (Westerngitarren, Standbass, Besen-Schlagzeug) oder erweiterter Besetzung (Orgel, Elektro-Piano und Chor) eingespielt.

Schon das erste Stück, die Single „Sunrise", zeigt eine wichtige Weiterentwicklung der jungen Künstlerin: mit federndem Folk-Rhythmus beginnt Norah Jones ihr Album weitaus schneller und beschwingter als man es von doch durchweg sehr getragenen Liedern der Vorgänger-CD kennt. Vielfalt ist das Gebot der Stunde, auch was die musikalischen Gäste betrifft. Schon bei dem zweiten Song „What Am I To You" helfen mit dem Schlagzeuger Levon Helm und Garth Hudson an der Hammond-Orgel zwei Rock-Legenden mit (The Band). Entsprechend rockig klingt das Stück denn auch, ganz im Gegensatz zu den nachdenklicheren „Those Sweet Words" und „Carnival Town" - beide mitkomponiert von Norahs Bassist und Lebenspartner Lee Alexander. „Carnival Town" ist ein echter Höhepunkt: Norah malt mit tief unter die Haut gehender Stimme das Bild einer nächtlichen Straße in New Orleans, wenn nach dem Karneval die Clowns nach Hause gegangen sind und sie mutterseelenallein herumirrt. Der legendäre Produzent Arif Mardin (Aretha Franklin, Bee Gees, Chaka Khan), der bereits bei „Come Away With Me" mitarbeitete und „Feels Like Home" nun allein mit Norah produzierte, steuerte hier auch die einfühlsamen Streicherarrangements bei.

Zwei gelungene Coverversionen &endash; „The Long Way Home" von Tom Waits und die Duke-Ellington-Komposition „Melancholia" (von Norah betextet und in„Don't Miss You At All") umbenannt - werten den ohnehin hochklassigen Song-Reigen weiter auf, der mit „Creepin' In", dem fetzigen Country-Duett mit Dolly Parton, seinen Höhepunkt findet (Nr. 7, Anspieltipp).

Genau einen Monat nach ihrem 25. Geburtstag beginnt die Tochter des Sitar-Meisters und Beatles-Mitmusiker Ravi Shankar am 30.4. in Frankfurt ihre Deutschlandtournee (weitere Stationen: Düsseldorf, Hamburg und Berlin). Angesichts der großartigen neuen Songs sind das Pflichttermine für die Freunde der hauchzarten akkustischer Musik dieser erstaunlich reifen jungen Sängerin.

Norah Jones produzierte mit bewährter Besetzung einen würdigen Nachfolger ihres Multiplatin-Debüts „Come Away With Me". Der Mut zur größeren musikalischen Vielfalt geht dabei zum Glück nicht auf Kosten ihres einzigartigen Goldkehlchens.

Klang: Fast schon unanständig intim. Die Band scheint im Wohnzimmer zu spielen, während Norah leise ins Ohr haucht. Leider klingt die CD in den Höhen etwas matt - eine Folge des Kopierschutzes?

Fazit: Weniger Jazz, dafür mehr Folk, Country und vor allem: mehr Gefühl. Norah Jones hat sich nicht vom Mega-Erfolg blenden lassen. Wie sie singt keine.

© copyright 2004 Peter Wagner, alle Rechte vorbehalten