Summer Of Love
Von Peter Wagner, Hamburg
Im Zeitalter der
Klimakatastrophen wäre ein langer, dauerhaft schöner Sommer schon eine
kleine Sensation. Ein Sommer aber, der gleich vier Jahre lang eine ganze
Generation junger Menschen mit Musik, Liebe, Freiheit und Abenteuer
versorgt, gehört ins Reich der Legenden. Wirklich? Wie so viele Legenden
hat auch der „Summer Of Love“, der in den USA und Europa von 1967 bis 1970
währte, einen wahren Kern: zwischen dem Monterey Pop Festival im Juni 1967
über Woodstock im August 1969 bis hin zum Schlusspunkt der Musik-Unterm-Himmel-Kultur
Ende August 1970 auf der britischen Kanalinsel Wight explodierte bei den
meisten U30-Bewohnern der westlichen Welt so ziemlich alles – der Konflikt
mit der Kriegseltern-Generation, die Wildheit der Musik, der männliche
Kopf- und Gesichts-Haarwuchs, und (bei beiden Geschlechtern) der komplette
Sexualhormonhaushalt. Die Hippies und alle, die dazugehören wollten, gaben
sich von weitem zu erkennen. Der Dresscode war so farbenfroh und wallend
wie möglich, die Kofferplattenspieler trugen den Sound von Jimi Hendrix,
den Doors, den Rolling Stones oder Janis Joplin durch die milden
Sonntagnachmittage in die Parks der großen Städte – und auch olfaktorisch
war anhand der dichten Räucherstäbchen- und Haschisch-Nebel jedes
Hippie-Nest leicht ortbar.
John Phillips, dem
Sänger der Band The Mamas & The Papas, kam 1967 die zündende Idee. In
dem 30.000-Einwohner-Städchen Monterey unweit der Hippie-Hochburg San
Francisco gab es seit 1958 ein jährliches Jazz-Festival. Behörden und
Bewohner waren also Besuchermassen und Musikbeschallung gewohnt. Phillips
trommelte vom 16. bis zum 18. Juni 1967 sämtliche damals relevanten Rock-
und Pop-Stars zum Monterey Pop Festival zusammen: The Who, The Byrds, Blood
Sweat & Tears, Otis Redding, Simon & Garfunkel, Jefferson Airplane
und viele, viele mehr. Scott McKenzie fing das florale Markenzeichen der
Flower-Power-Anhänger genial in seinem Refrain ein: „Wenn Du nach San
Francisco kommst, achte darauf, eine Blume im Haar zu tragen“. Am Samstag,
spielte vormittags die Newcomer-Band Big Brother & The Holding Company.
Deren Sängerin Janis Joplin haute die gut 50.000 noch recht müde in die
Mittagssonne blinzelnden Fans völlig aus den Eigenstricksocken. Janis
röhrte sich in die Herzen der Massen, und die Veranstalter engagierten sie
kurzerhand für den Sonntag noch mal. Fünf Bands später schließlich erlebte
die Hippie-Bewegung ihren größten Hormonschub: Jimi Hendrix missbrauchte
mit Zunge, Zähnen, Füßen und Feuerzeug seine Stratocaster-Gitarre – und
feierte dank Konzertfilm und Live-Festival-Alben seinen weltweiten
Durchbruch als Flower-Power-Superstar.
Hendrix Genialität
brannte lichterloh, doch wie die von Joplin und dem Doors-Sänger Jim
Morrison nur kurz. Alle drei wurden gerade mal 27 Jahre alt und starben
Anfang der 70er Jahre – unter starker Beteiligung diverser Drogen.
Illegale, das Bewusstsein wenn nicht erweiternde so doch zumindest
verändernde Substanzen spielten neben der freien Liebe auch auf dem
bekanntesten Festival der Flower-Power-Ära die Hauptrolle. Noch immer gilt:
wer behauptet, sich an Woodstock erinnern zu können, kann unmöglich dabei
gewesen sein. Um Musik ging es nur am Rande, denn trotz des einmaligen
Star-Reigens von Ten Years After über Joplin und Hendrix bis hin zu
den großen Coming-Outs von Joe Cocker und Santana, erreichten die
Beschallungsanlagen nicht mal ein Zehntel der mehr als 400.000 Besucher.
Und doch ist vieles von dem, was im August 1969 auf der Farm des
Bauern Max Yasgur in der Nähe von New York passierte, bis heute stilbildend
für das typische Festival-Feeling: freier Sex, aber auch freies Versinken
in Matsch, Essensresten und Exkrementen.
Nicht viel besser
organisiert, aber ebenso genial als Konzertfilm dokumentiert, setzte das
britische Isle Of Wight Festival 1970 mit fünf langen Musik-Tagen einen
würdigen Schlussstrich unter den vierjährigen Liebes-Dauersommer. Jethro
Tull und Emerson, Lake and Palmer erlebten ihre Initiation zu Weltstars,
Hendrix gab eines seiner letzten hörenswerten Konzerte. Es sollte 15 Jahre
dauern, bis mit dem Live Aid-Konzert in London und Philadelphia wieder ein
Festival stattfand, das stark genug war, die Jugend der Welt zu einen.
Im Juli 2007 versuchen die
Initiatoren des an neun Orten auf allen Kontinenten gleichzeitig laufenden
Live Earth Festival (www.liveearth.org) genau dies zu wiederholen: die
Pop-Fans des Planeten unter einem Motto zu versammeln. Doch auch jenseits
des globalisierten Pop-Spektakels für den Klimaschutz gibt es unzählige
große wie kleine Open-Airs in Europa. Allein für diesen Sommer listet die
Info-Seite www.festivalhopper.de 612 Festivals in Deutschland und den
angrenzenden Staaten auf. Genug Gelegenheiten also, sich in den nächsten
Wochen eine Blume ins Haar zu stecken, ein Wochenende lang von
Plastikflaschenbier und Dosenravioli zu leben und im Zweimannzelt zu
erfahren, was dieser Summer Of Love an zwischenmenschlichen Höhepunkten zu
bieten hat.
Â(c) copyright 2007 Peter
Wagner, alle Rechte vorbehalten
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