Feature im ARTE-Magazin 07/2007

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Summer Of Love

Von Peter Wagner, Hamburg

Im Zeitalter der Klimakatastrophen wäre ein langer, dauerhaft schöner Sommer schon eine kleine Sensation. Ein Sommer aber, der gleich vier Jahre lang eine ganze Generation junger Menschen mit Musik, Liebe, Freiheit und Abenteuer versorgt, gehört ins Reich der Legenden. Wirklich? Wie so viele Legenden hat auch der „Summer Of Love“, der in den USA und Europa von 1967 bis 1970 währte, einen wahren Kern: zwischen dem Monterey Pop Festival im Juni 1967 über Woodstock im August 1969 bis hin zum Schlusspunkt der Musik-Unterm-Himmel-Kultur Ende August 1970 auf der britischen Kanalinsel Wight explodierte bei den meisten U30-Bewohnern der westlichen Welt so ziemlich alles – der Konflikt mit der Kriegseltern-Generation, die Wildheit der Musik, der männliche Kopf- und Gesichts-Haarwuchs, und (bei beiden Geschlechtern) der komplette Sexualhormonhaushalt. Die Hippies und alle, die dazugehören wollten, gaben sich von weitem zu erkennen. Der Dresscode war so farbenfroh und wallend wie möglich, die Kofferplattenspieler trugen den Sound von Jimi Hendrix, den Doors, den Rolling Stones oder Janis Joplin durch die milden Sonntagnachmittage in die Parks der großen Städte – und auch olfaktorisch war anhand der dichten Räucherstäbchen- und Haschisch-Nebel jedes Hippie-Nest leicht ortbar.

 

John Phillips, dem Sänger der Band The Mamas & The Papas, kam 1967 die zündende Idee. In dem 30.000-Einwohner-Städchen Monterey unweit der  Hippie-Hochburg San Francisco gab es seit 1958 ein jährliches Jazz-Festival. Behörden und Bewohner waren also Besuchermassen und Musikbeschallung gewohnt. Phillips trommelte vom 16. bis zum 18. Juni 1967 sämtliche damals relevanten Rock- und Pop-Stars zum Monterey Pop Festival zusammen: The Who, The Byrds, Blood Sweat & Tears, Otis Redding, Simon & Garfunkel, Jefferson Airplane und viele, viele mehr. Scott McKenzie fing das florale Markenzeichen der Flower-Power-Anhänger genial in seinem Refrain ein: „Wenn Du nach San Francisco kommst, achte darauf, eine Blume im Haar zu tragen“. Am Samstag, spielte vormittags die Newcomer-Band Big Brother & The Holding Company. Deren Sängerin Janis Joplin haute die gut 50.000 noch recht müde in die Mittagssonne blinzelnden Fans völlig aus den Eigenstricksocken. Janis röhrte sich in die Herzen der Massen, und die Veranstalter engagierten sie kurzerhand für den Sonntag noch mal. Fünf Bands später schließlich erlebte die Hippie-Bewegung ihren größten Hormonschub: Jimi Hendrix missbrauchte mit Zunge, Zähnen, Füßen und Feuerzeug seine Stratocaster-Gitarre­ – und feierte dank Konzertfilm und Live-Festival-Alben seinen weltweiten Durchbruch als Flower-Power-Superstar.

 

Hendrix Genialität brannte lichterloh, doch wie die von Joplin und dem Doors-Sänger Jim Morrison nur kurz. Alle drei wurden gerade mal 27 Jahre alt und starben Anfang der 70er Jahre – unter starker Beteiligung diverser Drogen. Illegale, das Bewusstsein wenn nicht erweiternde so doch zumindest verändernde Substanzen spielten neben der freien Liebe auch auf dem bekanntesten Festival der Flower-Power-Ära die Hauptrolle. Noch immer gilt: wer behauptet, sich an Woodstock erinnern zu können, kann unmöglich dabei gewesen sein. Um Musik ging es nur am Rande, denn trotz des einmaligen Star-Reigens von Ten Years After  über Joplin und Hendrix bis hin zu den großen Coming-Outs von Joe Cocker und Santana, erreichten die Beschallungsanlagen nicht mal ein Zehntel der mehr als 400.000 Besucher. Und doch ist vieles von dem, was  im August 1969 auf der Farm des Bauern Max Yasgur in der Nähe von New York passierte, bis heute stilbildend für das typische Festival-Feeling: freier Sex, aber auch freies Versinken in Matsch, Essensresten und Exkrementen.

 

Nicht viel besser organisiert, aber ebenso genial als Konzertfilm dokumentiert, setzte das britische Isle Of Wight Festival 1970 mit fünf langen Musik-Tagen einen würdigen Schlussstrich unter den vierjährigen Liebes-Dauersommer. Jethro Tull und Emerson, Lake and Palmer erlebten ihre Initiation zu Weltstars, Hendrix gab eines seiner letzten hörenswerten Konzerte. Es sollte 15 Jahre dauern, bis mit dem Live Aid-Konzert in London und Philadelphia wieder ein Festival stattfand, das stark genug war, die Jugend der Welt zu einen.

 

Im Juli 2007 versuchen die Initiatoren des an neun Orten auf allen Kontinenten gleichzeitig laufenden Live Earth Festival (www.liveearth.org) genau dies zu wiederholen: die Pop-Fans des Planeten unter einem Motto zu versammeln. Doch auch jenseits des globalisierten Pop-Spektakels für den Klimaschutz gibt es unzählige große wie kleine Open-Airs in Europa. Allein für diesen Sommer listet die Info-Seite www.festivalhopper.de 612 Festivals in Deutschland und den angrenzenden Staaten auf. Genug Gelegenheiten also, sich in den nächsten Wochen eine Blume ins Haar zu stecken, ein Wochenende lang von Plastikflaschenbier und Dosenravioli zu leben und im Zweimannzelt zu erfahren, was dieser Summer Of Love an zwischenmenschlichen Höhepunkten zu bieten hat.

 

 

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