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AC/DC (Feature, ME 8/95)

Was ist grün und stinkt nach Schwein? Richtig: Kermits Zeigefinger. Was ist älter als die "Sesamstraße" und riecht noch immer nach Schweinerock? Richtig - Angus Youngs Mittelfinger. Den hält der schmächtige Gitarrist seit genau 20 Jahren immer dann hoch, wenn wieder einmal ein Rock-Kritiker meint, die momentan aktuelle AC/DC-Platte klinge auch nicht anders als die letzte: "Ich erzähle dir dazu eine Geschichte", krächzt Angus (35) und kratzt sich die streichholzdürren Ärmchen. "Eine der größten Bands der Welt, die Beatles, begann ihre Karriere damit, in kleinen Clubs Rock'n'Roll-Musik zu spielen. Später spielten sie Pop-Musik, Balladen, bis hin zu diesem symphonischen Zeugs. Aber am Schluß landeten sie wieder beim Rock'n'Roll. Wir haben einfach den ganzen Kram in der Mitte weggelassen."

In diesen Tagen erscheint mit "Ballbreaker" das fünfzehnte Studio-Album von AC/DC, und wieder ist der Name Programm: mit dem kleinen Einmaleins der Gitarren-Riffs bleiben sie der verläßlichste Gleichstromgenerator im Wechsel der Musik-Strömungen. "Wir haben unsere Musik nie verändert. Wir spielen noch immer den gleichen Scheiß wie am Anfang." Angus Young sagt Sätze wie diese mit jenem entspannten Ton, der sich automatisch einstellt, wenn man erst einmal weltweit mehr als 100 Millionen Platten (incl. Singles) verkauft hat. Die Musik der Gebrüder Young (der ältere, Malcolm, ist nach gelungenem Alk-Entzug inzwischen ebenso wieder im Boot wie der Ur-Drummer Phil Rudd) widerstand den Wogen sämtlicher Trends von Punk bis Rap und klingt praktisch so, wie sie auf dem Album -Debüt "High Voltage" im Februar 1975 (in Australien) definiert wurde. Der Zahn der Zeit nagt allenfalls an Youngs Haarmenge. Umso würdevoller versucht er die wenigen noch verbliebenen grauen Strähnen im Video zur aktuellen Single "Hard As A Rock" zu schütteln.

Ansonsten zeigt er sich trotz kleiner Alzheimereien (er datiert sein LP-Debüt auf Sommer 1974...) voll auf der Höhe der Zeit. Der Zeit des weltweiten Doppelclicks: "Ich wollte schon immer malen. Und der Computer ermöglicht mir, auf Tour nebenbei ein paar Bilder in das Laptop zu malen." Für Angus ist das weit mehr als nur die Cyber-Version von "Malen nach Zahlen". Es ist ein ernstes Hobby, mindestens so ernst wie Briefmarken sammeln oder Bonsai-Kiefern züchten: "Früher maltest du ein Bild und es blieb so, wie es ist. Am Computer bleibt es mit dem "Painter"-Programm immer lebendig. Du kannst es zigmal verändern, kannst es animieren - das sind bewegliche Gemälde!"

Gemälde, hinter denen ein beweglicher Geist steht: Wie andere Rock-Reptilien aus der Dino-Ecke gingen auch AC/DC dem Web ins Netz: "Einer Frau bei unserer Plattenfirma war aufgefallen, daß es einen ganzen Haufen Web-Sites über AC/DC im Internet gibt", erinnert sich Angus an eine Online-Pressekonferenz, bei der er im Frühsommer drei Stunden lang Fan-Fragen am Rechner in Echtzeit beantwortete. "Das tolle daran ist, daß du live mit allen möglichen Menschen quer über den Erdball kommunizieren kannst." Es kommt noch toller: "Das sind alles Leute, die wirklich an deinem Ding interessiert sind. Normalerweise kaufen die Menschen irgend ein Magazin und interessieren sich vielleicht eher für die Klatschmeldungen oder die Sportnachrichten. Aber im Web kommunizierst du direkt und ausschließlich mit Leuten, die wirklich etwas über AC/DC erfahren wollen." Das "etwas" hielt sich im üblichen Rahmen: Wann sie auf Tour gehen (im Winter), ob es ihre letzte Tour sein wird (eher nicht), oder ob Angus gemäß seiner Definition von Erotik - stockbehaarte Spindelbeinchen in kurzen Hosen - wieder seinen alten Schulanzug tragen werde (was sonst?).

Fragen, die unmöglich alle von Dreißigjährigen gestellt werden können, die mit der Band alt geworden sind. AC/DC haben das geschafft, was man selbst den Stones kaum zugetraut hätte - einen fließenden Generationswechsel im Publikum. Während andere Graumänner von Stewart bis Cocker ihre Live-Lautstärke längst auf Familien-Level runtergefahren haben, reißen AC/DC die Regler nach wie vor voll auf. "Klar, das Publikum ist mit uns älter geworden", bekennt Angus, "seit einiger Zeit schon bringen die Väter ihre Kinder zu unseren Konzerten mit. Aber diese Kinder sind jetzt zwölf oder 13 Jahre alt und reagieren wie ihre Eltern, als die jung waren: Sie stehen direkt vor der Bühne und verdrängen die Älteren nach hinten. Und wenn sich ein 13jähriger heutzutage für Rock'n'Roll interessiert - gibt es einen besseren Ort als ein AC/DC-Konzert, um damit zu beginnen?"

Und es gibt noch einen, viel gewichtigeren, Grund, warum sich in diesem Jahr verdammt viele Rock-Anfänger von den Haudrauf-Riffs der Australier anfixen lassen werden: Grunge, der Stromgitarren-Ohrenöffner einer ganzen Generation, ist tot, der Wille zum Lärm jedoch bleibt. Und in Rick Rubin haben AC/DC exakt den Produzenten gefunden, der ihre simplen Krach-Songs in ein Sound-Mäntelchen der 90er Jahre hüllt, das dieser Dekade ebenso angemessen ist, wie jener Bryan Adams-mäßige Stadion-Sound, den Bruce Fairbairn beim letzten Album "The Razors Edge" (1990) zum Abschied an die 80er Jahre zusammenmixte. Rubin ist ultrahip, zuletzt machte er gar Johnny Cash zum neuen Star der MTV-Generation. Angus bleibt dennoch ruhig: Unser neues Album ist ein Querschnitt aller AC/DC-Platten, mehr nicht. Wir spielen keine Rap-Musik und erst recht keine Grunge-Musik. Wir spielen nichts anderes als Rock'n'Roll - nur eben ein bißchen lauter als Chuck Berry. Und wenn du nicht beim ersten Takt der Platte hörst, daß es AC/DC ist, haben wir versagt."

So spricht einer, der genau weiß, daß zum Beispiel seinem Kollegen Keith Richards in einem Interview auf die Frage, welche Band er denn überhaupt mag, nur ein einsilbiges "Well, I like AC/DC" einfällt. Young selbst mag all die jungen wilden Bands auch nicht: "Als wir anfingen, schraubte ich oft an meinem Verstärker herum. Und immer, wenn dabei ein unerträglich schlechter Sound herauskam, nannten wir ihn grungy. Und das ist Grunge für uns bis heute geblieben - fürchterlich beschissen klingende Musik. Wenn ich in Amerika diese jungen Bands aus dem Studio kommen sehe, weiß ich genau: Ihre Musik ist die Musik für die kommenden Wochen. Kurze Zeit lang sind sie sehr angesagt und verdienen einen Haufen Geld. Ein paar Wochen später sind sie schon wieder vergessen."

Selbst wenn AC/DC nicht unbedingt die aktuelle "political correct"-Norm erfüllen wird "Ballbreaker" von Beavis und Butthead in seltener Eintracht ein klares "cool" ernten. Doch auch das geht Angus rechts am (bei Gigs nach wie vor regelmäßig entblößten) Hintern vorbei: "Wir folgen keinen Moden, lassen uns vor keinen Trendzug spannen. Wenn zum Beispiel alle sagen, daß Balladen gerade hip sind, oder Rap, oder Grunge - was interessiert uns das? Wir haben mit harter Musik angefangen zu einer Zeit, als überall nur sanfte Klänge zu hören waren. Man hat uns boykottiert, wir wurden nicht im Radio oder Fernsehen gespielt, die Medien haßten uns. Aber wann immer wir auf die Bühne gingen, war sofort klar: es gilt nur das Votum der Kids."

PETER VON STAHL

 

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